Symbolbild: Jüdisches Leben
Pressemitteilung

Viel zu oft nehmen wir es als Selbstverständlichkeit, dass wir in Frieden und Freiheit leben können

Rede von Cornelia Willius-Senzer in der Aussprache zur Regierungserklärung am 19. Oktober 2019 im Landtag Rheinland-Pfalz

„Nie wieder das Menschenrecht so verletzen lassen. Nie wieder den Nachbarn alleinlassen. Nie wieder wegsehen. Nie wieder Hass gegen irgendwelche Minderheiten dulden. Sich immer vorstellen, man ist auf der Seite der Verlierer, nicht der Gewinner. Aufstehen, widerstehen, kämpfen.“ Meine Damen und Herren, das sind Worte, die im Jahr 2017 in diesem Raum gesprochen wurden – um genau zu sein am 27. Januar. Gesagt hat sie Lea Rosh, Vorsitzende des Förderkreises „Denkmal für die ermordeten Juden Europas e.V.“, in unserer Gedenksitzung für die Opfer des Nationalsozialismus.

„Nie wieder das Menschenrecht so verletzen lassen“, sagte Lea Rosh. Meine Damen und Herren, in unserem Land wurde Menschenrecht verletzt. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von den Vereinten Nationen verkündet wurde, findet sich die Religionsfreiheit. Die schrecklichen Ereignisse aus Halle zeigen uns, dass es in diesem Land Menschen gibt, die sich radikalisieren, in die politisch und gesellschaftlich ganz extremen Bereiche abrutschen und bereit sind, einen antisemitisch motivierten Anschlag live im Internet zu übertragen. Wir Freie Demokraten sind darüber schockiert, verurteilen diese Tat aufs Schärfste und sprechen den Angehörigen der Menschen, die nur zufällig Opfer geworden sind, unser Mitgefühl aus.

„Nie wieder den Nachbarn alleinlassen“, sagte Lea Rosh. Meine Damen und Herren, jüdisches Leben ist Teil unseres Alltags und damit auch Teil unserer Nachbarschaft. Ich bin unglaublich froh, dass es so ist. Als ich in Mainz zur Welt kam, hatten die Nazis jüdisches Leben endgültig auslöschen wollen. Umso dankbarer bin ich, dass es im vergangenen Jahr für die jüdische Gemeinde eine Selbstverständlichkeit war, meine Fraktion und mich in der Neuen Synagoge unweit unseres Plenarsaals zu empfangen. Ich kann Ihnen aber auch sagen, dass dieser Besuch in mir ein beklemmendes Gefühl ausgelöst hat. Immer wieder und gerade bei solchen Besuchen wird uns bewusst, dass jüdisches Leben noch heute nur unter besonderem Schutz möglich ist. Ich schäme mich für diese Situation, die einem Land, das so selbstbewusst seine europäischen Werte demonstriert, nicht würdig ist. Wir alle sind zu mehr Solidarität mit den jüdischen Gemeinden in unserem Land aufgefordert. Es geht um die Freiheit aller Menschen in diesem Land.

„Nie wieder wegsehen“, sagte Lea Rosh. Meine Damen und Herren, das ist ein Auftrag zu konsequentem Handeln gegenüber Antisemitismus mit welchem Hintergrund auch immer - ob aus extremer politischer Ideologie, extremer religiöser Motivation oder durch krude Verschwörungstheorien angetrieben. Antisemitismus hat in unserer Gesellschaft keinen Platz. Im konkreten Fall von Halle müssen wir genau hinsehen. Aus dem mutmaßlichen Täter sprach die Art von Hass und eine menschenfeindliche, rechtsextreme Argumentation, die wir bereits aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert kannten. Diese hat damals den Antisemitismus salonfähig und die Machtergreifung der Nazis möglich gemacht. Dieses Denken ist leider Gottes noch unter uns. Und dagegen müssen wir mit aller Entschiedenheit vorgehen. Ich bin sicher, dass auch die rheinland-pfälzischen Behörden aus diesem Fall ihre Schlüsse ziehen und konsequent handeln, um antisemitische Taten zu verhindern.

Wie Lea Rosh sagt: „Nie wieder Hass gegen irgendwelche Minderheiten dulden. Sich immer vorstellen, man ist auf der Seite der Verlierer, nicht der Gewinner.“ Viel zu oft nehmen wir es als Selbstverständlichkeit, dass wir in diesem Land in Frieden und Freiheit leben können. Für die vielen Jüdinnen und Juden in diesem Land ist das nicht so. Polizeischutz gehört für sie zum Alltag. Und weil ich nicht in „uns“ und „jüdisches Leben“ unterscheide, sondern jüdisches Leben Teil von uns ist, bin ich der Ansicht, dass wir alle in Verantwortung stehen – ohne Ausnahme. Wir alle haben einen Auftrag: „Aufstehen, widerstehen, kämpfen.“