Justitia
Liberale Argumente

Ausgesetzte Hauptversammlung gegen Mitglieder des „Aktionsbündnisses Mittelrhein“

In den Medien und nicht zuletzt im letzten Plenum schlug die Einstellung des Neonazi-Prozesses nach fünf Verhandlungsjahren wegen eines Richters, der in Ruhestand geht, hohe Wellen. Als Gesprächsgrundlage stellt die FDP-Landtagsfraktion gerne Hintergrundinformationen zur Verfügung.

Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei der Aussetzungsentscheidung des Landgerichts Koblenz um eine in richterlicher Unabhängigkeit ergangene Entscheidung handelt. Mit Blick auf die Unabhängigkeit der Gerichte, die einen wesentlichen Grundsatz unseres Rechtsstaates darstellt, ist es dem Justizministerium nicht möglich, die erfolgte Aussetzungsentscheidung zu kommentieren oder zu bewerten. Wie der Justizminister im Plenum des rheinland-pfälzischen Landtags ausgeführt hat, ist er als Vertreter der Exekutive von Verfassungs wegen gehalten, in richterlicher Unabhängigkeit ergangene Entscheidungen der Judikative, die im Rahmen der Gesetze erfolgt sind, lediglich zur Kenntnis zu nehmen.

Dies vorausgeschickt können zur besseren Einordnung des Aussetzungsbeschlusses folgende Hintergrundinformationen zur Verfügung gestellt werden:

  1. Am 25. Mai 2012 wurde durch die Staatsanwaltschaft Koblenz Anklage gegen 26 Personen erhoben, Kernvorwurf war die Bildung, Mitgliedschaft in und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Die Anklageschrift umfasste insgesamt 926 Seiten. Am 6. August 2012 wurde die Anklage durch das Landgericht Koblenz zugelassen.
     
  2. Im Eröffnungsbeschluss hat der Vorsitzende Richter zudem angeordnet, zwei Ergänzungsschöffen und einen Ergänzungsrichter zur Verhandlung hinzuzuziehen. Die Möglichkeit, Ergänzungsrichter hinzuzuziehen, dient dazu, bei voraussichtlich umfangreichen und langwierigen Verfahren eine ordnungsgemäße Beendigung auch für die Fälle sicherzustellen, in denen im Laufe des Verfahrens einzelne Richter – etwa durch Krankheit, Schwangerschaft, Pensionierung oder wegen Befangenheit – ausscheiden.

    Nach dem grundgesetzlich verankerten Prinzip des gesetzlichen Richters und dem strafprozessualen Unmittelbarkeitsprinzip ist der Austausch einzelner Richter während eines laufenden Strafverfahrens nämlich nicht möglich.

    Vielmehr besagt das Prinzip des gesetzlichen Richters, dass im Vorfeld eines konkreten Verfahrens generell abstrakt festgelegt sein muss, welche Richter für das Verfahren zuständig sind. Diese Festlegung erfolgt im Wege richterlicher Unabhängigkeit durch die Erstellung von Geschäftsverteilungsplänen durch die Präsidien der Gerichte. Anhand dieser Geschäftsverteilungspläne ist im Voraus für jedes zukünftig bei dem Gericht eingehende Verfahren feststellbar, welche Richter zuständig sein werden.

    Das strafprozessuale Unmittelbarkeitsprinzip legt darüber hinaus fest, dass nur diejenigen Richter am Urteil mitwirken dürfen, die auch an der Hauptverhandlung teilgenommen haben. Daher muss jeder Richter, der am Ende eines Strafverfahrens das Urteil mit unterzeichnet, an jedem einzelnen Hauptverhandlungstag teilgenommen haben.

    Um diesen Prinzipien Rechnung tragen zu können, gibt es das Instrument der Ergänzungsrichter, die – auch wenn sie letztlich nicht zum Zuge kommen – an der gesamten Hauptverhandlung teilnehmen. Ob, und wenn ja, wie viele Ergänzungsrichter benötigt werden, entscheidet der Vorsitzende in richterlicher Unabhängigkeit. Es handelt sich um eine Prognoseentscheidung. Eine solche hat auch der Vorsitzende in diesem Verfahren getroffen. Allerdings sind im Laufe der Hauptverhandlung sämtliche hinzugezogenen Ergänzungsrichter bereits zum Einsatz gekommen, weil zwei Schöffen wegen Befangenheit (im Dezember 2012 und im September 2015) und ein Berufsrichter wegen Erreichens der Altersgrenze (im Januar 2014) ausgeschieden waren. Ein weiterer Ergänzungsrichter für den Ende Juni aus Altersgründen ausscheidenden Vorsitzenden steht daher nicht mehr zur Verfügung.
     
  3. Mit der Hauptverhandlung ist am 20. August 2012 begonnen worden. Es haben insgesamt 337 Hauptverhandlungstage stattgefunden. In der Zeit vom 20. August 2012 bis 4. Februar 2014 wurde grundsätzlich zweimal wöchentlich, jeweils an einem Dienstag und Donnerstag verhandelt. Seit dem 11. Februar 2014 erfolgten Verhandlungen dreimal wöchentlich – Dienstag bis Donnerstag. Daraus wird ersichtlich, dass das Landgericht Koblenz den Prozess jederzeit gewissenhaft geführt und gefördert hat.
     
  4. Es wurden bislang mindestens 120 Zeugen und ein Sachverständiger gehört.

    Durch die Verteidigung wurden mehr als 240 Beweisanträge und mehr als 400 Verfahrensanträge gestellt sowie mehr als 50 Gegenvorstellungen erhoben. Zudem wurden mehr als 500 Befangenheitsanträge gestellt.
     
  5. Ein Verfahren von vergleichbarer Dimension hatte es am Landgericht Koblenz zuvor noch nicht gegeben.
     
  6. Gegen insgesamt neun Angeklagte wurde das Verfahren ordnungsgemäß – durch rechtskräftige Verurteilungen (vier Angeklagte) oder Einstellungsentscheidungen (fünf Angeklagte) – beendet.

Fazit: Als Rechtsstaatspartei stehen wir klar zur richterlichen Unabhängigkeit. Die durch dieses extrem lange Verfahren unschönen Folgen müssen wir daher – wenn auch mit Bedauern – zur Kenntnis nehmen.